Eine Stunde im Mob

Eine Stunde im Mob

München, wir müssen reden. Vorgestern habe ich Dich erlebt, wie ich Dich nie erleben wollte. Meine Ohren klingeln, Schwaden von Hasstiraden liegen noch in der Luft …

Es fing alles ganz harmlos an: Wahlkampfveranstaltung von Angela Merkel auf dem Marienplatz. Viel Polizei, viel Security, Sicherheitsstufe 1 – weil Kanzlerin in Town. Um 18.30 Uhr findet eine Gegenveranstaltung der AfD am Rindermarkt statt: Ein Transporter mit Frauke Petrys Konterfei und „Mut zu Deutschland“- Slogan, ein blauer Pavillon wird aufgebaut. Eine kleine Traube von Menschen bildet sich um das Rednerpult – vielleicht 30 Leute, vielleicht auch 40 Leute. Deutlich weniger als ich erwartet habe. Ich bin als Journalistin mit einem Kamera-Team vor Ort. Wir wollen beide Veranstaltungen, die von der Union und die der AfD kurz vor der Wahl begleiten. Ein Mann hält ein Schild in die Luft. Es zeigt Frauen in Niqabs mit Merkel-Raute. Dahinter eine Männerfigur mit Gewehr und dem Schriftzug „Wir schaffen Euch“. Puh. Harter Tobak. Am Rednerpult sprechen die Landeslisten-Kandidaten der AfD für Bayern. Kurzversion: „Flüchtlinge raus“ – „Merkel weg“ – „AfD rein“. Plötzlich baut sich eine kleine zierliche Frau vor dem Rednerpult auf. In ein aufgeklapptes Schulheft hat sie geschrieben: „Eingewandert – Asyl – studiert – promoviert – zahle Spitzensteuersatz – auch für Dich!“. Sie hält es dem Redner vor die Nase – ihre Augen entschlossen auf den Redenden gerichtet, die Hände zitternd (Video hier). Ohne Gewalt, aber doch bestimmt, wird sie schließlich von AfD-Anhängern an den Rand geführt. Immer wieder hört man vereinzelt „Nazi raus“- Rufe während der Veranstaltung.

Noch zehn Minuten bis Kanzlerin Merkel 300 Meter weiter am Marienplatz auftritt. Ein AfD-Redner ruft auf, Merkel nicht auszupfeifen – das wäre nicht der Stil der AfD. Er klingt spöttisch. Aber schließlich sind diverse Kameras auf ihn gerichtet. Ein direkter Aufruf zum Stören wäre dokumentiert. Dass es ganz anders kommen wird, weiß er zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon. Ich nicht.

Dann ist es so weit: Angela Merkel betritt die Bühne. Roter Blazer. Merkel-Raute. Los geht’s mit der Rede: Schön ist es in Bayern – setzt sie an. Dann versteht man nichts mehr. Um mich herum werden die Trillerpfeifen ausgepackt. „Volksverräter“, „Merkel muss weg“, „Hau ab!“ brüllen die Menschen. Eigentlich ist es heute Abend herbstlich warm, aber die Temperatur fällt jetzt um mindestens 10 Grad – Willkommenskultur am Ende.

Ich bin überrascht, überrumpelt. So fühlt es sich also an in einem Mob zu stehen, der schäumt. Ich suche schon nach der ersten Mistgabel in der Menge.

Die Stimmung: aggressiv. Ich schaue mich in der Menschenmenge um – ich sehe keinen Protest, ich sehe blanken Hass in den Augen, in den Gesichtern der Menschen, bewaffnet mit Trillerpfeifen und Plakaten „Tomaten für Merkel“, „Volksverräterin“ „Durch diese Hand kam der Terror ins Land“. Ich kann es nicht fassen – nach Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen jetzt auch hier in Bayern – in München? Eine Touristin fragt mich „Why is there so much hate?“ Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß es nicht, ich würde es aber gern verstehen.

Wenn ich mir die Plakate anschaue, dann ist das Hauptproblem für die Leute hier die Flüchtlingsfrage. In Bayern sprechen wir von ca. 156.000 anerkannten, abgelehnten und im Verfahren befindliche Asylbewerbern (Stand 29. Februar 2016) bei 12,4 Millionen Einwohnern in Bayern – umgerechnet also 1,26 Prozent (!). Das ist das Problem? Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl an neu ankommenden Geflüchteten 2017 übrigens deutlich gesunken. Auch die Behauptung, dass in Bayern die Zahl der Vergewaltigungen, die von Zuwanderern verübt worden sei, deutlich angestiegen ist, musste der Innenminister vor einigen Tagen korrigieren. Das Land wohlhabend, die Arbeitslosenquote liegt bei 3 Prozent. Zahlen und Argumente prallen an den Menschen hier aber einfach ab. Ich versuche einen älteren Herrn mit Schirmmützen neben mir zu fragen: „Warum sind Sie so wütend?“ Er zeigt mir den Mittelfinger.

Ist das hier wirklich eine Minderheit, die sich vor allem von der AfD und Pegida mobilisieren lässt und einfach sehr laut ist?Aber was ist dann mit der Mehrheit? Wo ist die Mehrheit? Beziehungsweise: Warum geht nicht wenigstens eine Minderheit der Mehrheit hier auf die Straße und bietet den Störern die Stirn? Ein paar Wenige stehen in der Menge, schreien und pfeifen nicht, sondern verfolgen nur, was hier passiert und sind wie gelähmt. Wie ich.Mein Kamera-Team habe ich längst verloren. Später wird mir mein Kollege erzählen, dass sie eingekreist worden sind, verfolgt mit „Lügenpresse“-Rufen und Trillerpfeifen. So nah an den Ohren, dass es weh tut. Man könnte auch sagen: Körperverletzung.

Merkel spricht vorne weiter: „Mit Pfeifen und mit Brüllen wird man die Zukunft Deutschlands nicht gestalten“ – sie muss selber fast schreien. Am Ende der Veranstaltung wird dann noch feierlich die Bayern- und die Deutschlandhymne angestimmt. Es will nicht passen. Immer wieder wird die Melodie zerrissen von „Buh“-Rufen und dem Wort „Volksverräter“. Ich habe mich inzwischen nach hinten fallen lassen. Raus aus dem Trillerpfeifen-Getöse. An der Wand lehnend beobachte ich ein Pärchen. Sie drückt seine Hand fest an sich. „Was passiert hier?“. Ja, gute Frage! Was passiert hier, München – Bayern – Deutschland?

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